Roland Hardmeier: Im Leiden Gott begegnen
Roland Hardmeier ist Dozent, Autor und Referent. Sein Leben änderte sich stark, als er einen physischen und psychischen Zusammenbruch erlitt und seitdem chronisch krank ist. Rebecca Krämer spricht mit Roland über seine persönlichen Erfahrungen mit Leid, wie sich daraufhin sein Glaubensleben veränderte und welche modernen theologischen Ansätze es zur Theodizeefrage gibt.
Rebecca: Ich freue mich, dich heute im Fontis-Podcast begrüßen zu dürfen. Du als theologischer Dozent, aber auch als Mensch, der ganz konkret von Leiden betroffen ist, bringst eine Expertise mit auf zwei Ebenen. Nicht nur auf der Kopfebene, sondern auch persönlich ganz real, aus dem Leben. Was hast du erlebt, was dich aus der Bahn geworfen hat?
Roland: Ich hab vor etwa 10 Jahren einen physischen und psychischen Zusammenbruch erlebt. Ich bin in eine Burnout-Klinik eingeliefert worden, in der Hoffnung, dass ich in ein paar Wochen wieder auf dem Damm bin. Das ist dann nicht geschehen! Ich hatte Schwindel, Sehstörungen, Schmerzen. Das hat dazu geführt, dass sich das chronifiziert hat. Ich hab mich bis heute nicht erholt, nur teilweise. Ich lebe jetzt mit Arbeitseinschränkungen. Ich kann eine Stunde am Stück arbeiten, dann muss ich aufhören und mich ein wenig erholen. Dann kann ich wieder eine Session arbeiten. Ich lebe jetzt mit starken Einschränkungen. Mein Leben hat sich völlig auf den Kopf gekehrt.
Das klingt für mich wie eine schwere Last. 10 Jahre sind lang, da hat sich bestimmt einiges in deinen Prozessen getan. Was waren deine ersten Gedanken damals, als du in der Klinik warst. Du dachtest, du bist schneller wieder auf den Beinen. Wie hat sich das dann entwickelt?
Ich dachte, ich muss mich jetzt ein wenig ausruhen und dann kann ich wieder arbeiten. Ich hab als Pastor gearbeitet 15 Jahre lang. Ich hab diese Arbeit geliebt und auch eine Berufung verspürt. Dort wollte ich unbedingt wieder hin zurück. Und irgendwann merkst du: Es geht einfach nicht mehr! Dann bin ich in ein Ringen gekommen mit meiner Berufung. Phasen von «Das kann doch nicht sein» bis «Hoffentlich wird es wieder», dann Resignation und Auflehnung. Die typischen Phasen, die Menschen, die langes Leiden durchmachen, hab ich auch durchgemacht.
Kamst du dann irgendwann an den Punkt, wo du das für dich angenommen hast und dein Leben darauf angepasst hast?
Ja, das musste ich. Das ging aber einige Jahre. Ich denke, ich war so 2-4 Jahre in einer Phase von Auflehnung, Resignation und des Verhandelns mit dem Schicksal, mit meinem Glauben und mit Gott. Es war wie eine Wunde, die einfach nicht zuheilen will. Vor allem, wenn man sich die Frage nach der Berufung stellt und merkt, das geht nicht mehr. Jetzt muss ich mich auf ein neues Leben einstellen. Was ist dieses Leben? Ich konnte mich dann mit meinem Schicksal versöhnen und darin auch Gottes Hand sehen. Das hat schlussendlich auch dazu geführt, dass ich gesagt habe: Ich möchte ein Buch darüber schreiben.
Welche Gedanken hattest du denn auf dem Weg in Bezug auf Gott und deinen Glauben? Was hast du in Frage gestellt?
Relativ bald kam die Frage der Gerechtigkeit, die viele Leidende stellen. Wenn du an Gott glaubst, dann glaubst du ja, dass Gott eingreifen kann. Aber du erlebst es nicht persönlich. Und dann fragt man sich: Warum ist das so? Was hat Gott für einen Weg für mich? Und da begann ein langes Ringen mit Gott. Ein Hineingehen, wie die Menschen, die Psalmen geschrieben haben und mit Gott gerechnet haben. Die dann manchmal in Klagepsalmen arme Häufchen Elend waren, aber ein auf Gott harrendes Häufchen. Und genauso bin ich mir auch vorgekommen. Eine lange Zeit war ich in dieser Phase. Sehr intensiv, sehr authentisch. Ich hab gelernt zu beten, so wie mein Herz spricht. Das war kein schönes Beten. Auch die Psalmen sind manchmal nicht druckreif, aber es ist sehr authentisch und ehrlich. Ich hab gemerkt: Ein Gebet, das aus dem tiefen Herzen kommt und ehrlich ist, ist von Gott immer angenommen.
Gab es einen Moment, wo du dich von Gott ganz verlassen gefühlt hast?
Ja, das gab es. Ganz verlassen gottseidank wohl nicht. Ich weiß nicht, wie das wäre. Aber tiefe Momente des Zweifelns schon, wo du nicht mehr weißt, wie du beten sollst, wo du aggressiv bist und dann doch an Gott hängst und merkst: Irgendwie ist dein Glaube doch noch da. Solche Zeiten gab es auch!